Blitzlicht

Störbesatz an der Oder von Sorgen überschattet

Zusammen mit Vertreter*innen der Helsinki-Kommission (HELCOM Baltic Marine Environment Protection Commission) hat das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) am 11. Mai 2022 400 Jungtiere des Baltischen Störs (A. oxyrinchus) in die Oder entlassen. Für die Anwesenden ein bewegender Moment, der zeitgleich aber auch von Sorgen überschattet wurde. Denn die polnische Seite treibt ungeachtet aller Kritik den Ausbau des Flusses voran. Noch zählt die Oder zu einem der letzten großen naturnahen Flüsse Europas. Wird sie weiter reguliert, geht eine Vielzahl von Lebensräumen verloren und mit ihnen könnten der vom Aussterben bedrohte Stör sowie andere seltene Arten verschwinden.

Sahra Damus und Jörn Geßner beim Störbesatz in Lebus am 11. Mai 2022. | Foto: Büro Sahra Damus

Die Teilnehmenden aus nahezu allen Ostsee-Anrainerstaaten nahmen eine gemeinsame Tagung zum Anlass, um sich im Brandenburgischen Lebus einen persönlichen Eindruck von der Praxis und den Perspektiven der Stör-Wiedereinbürgerung zu verschaffen. Erst im Jahr 2019 hatte die HELCOM einen Stör-Aktionsplan verabschiedet, der einen gemeinsamen Rahmen für die internationalen Bemühungen zur Wiederansiedlung des lokal ausgestorbenen Baltischen Störs liefert und in den das vom IGB koordinierte Programm an der Oder eingebunden ist. So sollen u.a. im Einzugsgebiet der Oder sich selbst erhaltende Bestände aufgebaut werden. Mit diesem Ziel wurden seit dem ersten Besatz im Jahr 2007 etwa 3,5 Millionen Jungstöre in den Fluss und seine Nebenarme entlassen. Sie stammen aus Nachzuchten eines Elterntierbestands, den das IGB mit seinen Partnern – der Gesellschaft zur Rettung des Störs und der Landesforschungsanstalt für Fischerei Mecklenburg-Vorpommern – aufgebaut hat. Aufgezogen werden die sogenannten Satzfische in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, auch unterstützt vom Land Brandenburg. Einmal im Fluss, verbringen die Jungtiere dort etwa zwei Jahre, bevor sie weiter in die Ostsee wandern. Wenn alles glückt, kehren die ausgewachsenen Fische einige Jahre später zum Laichen wieder in die Oder zurück.

Oder-Ausbau mit den Zielen des Stör-Aktionsplans nicht vereinbar

„Trotz der bisherigen Erfolge, teilten die Anwesenden eine große Sorge“, sagt IGB-Forscher Dr. Jörn Geßner, der das Wiederansiedlungsprogramm koordiniert und der HELCOM-Projektgruppe EG STUR vorsitzt. „Der geplante Oder-Ausbau ist mit den Zielen des Stör-Aktionsplans nicht vereinbar. Um die Bedingungen der stark gefährdeten Lebensräume in unseren Flüssen zu verbessern, werden vielfältige Lebensraumstrukturen benötigt, die unter dem Einfluss stark variierender Abflussereignisse stehen. Der aktuelle Ausbau wird genau entgegengesetzte Effekte bewirken, denn die Maßnahmen bezwecken möglichst gleichförmige Ufer, Gewässerquerschnitte und Bodenstrukturen.“

Dieser Einschätzung schloss sich auch die Brandenburgische Landtagsabgeordnete Sahra Damus (Bündnis 90/Die Grünen) an, die sich seit Jahren gegen das polnische Vorhaben engagiert und der Besatz-Aktion am Mittwoch beiwohnte. „Der Stör wurde Opfer von Überfischung, Verschmutzung und dem Ausbau von Gewässern, die diese wunderbaren Wanderfische aussterben ließen. Seit 26 Jahren gibt es jedoch erfolgreiche Bemühungen von Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen, Vereinen und Behörden, den Stör an Elbe und Oder wiederanzusiedeln und die Durchgängigkeit unserer Gewässer wiederherzustellen, damit die Fische ihre Laichplätze erreichen können“, erklärte sie. Sie sei froh, dass das Land Brandenburg dieses Programm finanziell unterstützt. Gleichzeitig verlieh sie ihrer Empörung darüber Ausdruck, dass Polen einseitig den Oder-Ausbau vorantreibe, ohne den Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung abzuwarten.

Forschende des IGB, auch Jörn Geßner, hatten bereits 2020 darauf hingewiesen, dass die Ausbaupläne den Lebensraum dieser und zahlreicher weiterer Arten in der Oder gefährden. Inzwischen haben das Brandenburger Umweltministerium sowie Umwelt- und Naturschutzverbände Widersprüche gegen das Vorhaben eingelegt. Während der Entscheidungstermin wiederholt um mehrere Monate verschoben wird, beginnt Polen bereits mit dem umstrittenen Vorhaben.
 

IGB Policy Brief zum Oder-Ausbau herunterladen >

Ausführliches Interview mit Jörn Geßner lesen >